Es gibt unzählige Situationen, die in uns das auslösen, was wir als Stress bezeichnen: Der Regionalzug zum Hauptbahnhof verspätet sich und es wird immer knapper werden, den ICE noch zu erreichen. Am Abend vor dem Abgabetermin der Hausarbeit lassen sich trotz vieler Versuche nur sieben von den insgesamt 15 Seiten ausdrucken, und eine Lösung ist nicht in Sicht. Die Präsentation ist für zehn Uhr angesagt, und eine Stunde vorher verlangt der Chef zahlreiche Änderungen an den Vortragsfolien.
In diesen Beispielen sind es die unerwarteten Ereignisse, die Stress auslösen können. Unter Spannung setzen können uns allerdings auch Ereignisse, von denen wir ganz genau wissen, dass sie zu einem bestimmten Zeitpunkt eintreten werden, wie beispielsweise ein Vorstellungsgespräch, ein Abgabetermin, eine Familienfeier, das abendliche Zubettbringen der Kinder. Und manchmal versetzen uns Gedanken an mögliche Ereignisse in der Zukunft unter große Spannung, obwohl deren Eintreten nicht sehr wahrscheinlich ist. Wir können auf solche Herausforderungen jedoch ganz unterschiedlich reagieren. Entweder, indem wir uns völlig von ihnen gefangen nehmen lassen oder indem wir uns ein Stück innere Freiheit und Präsenz erhalten.
Wir bezeichnen mit Stress sowohl Situationen, die uns unter Spannung setzen, als auch das Gefühl körperlich-geistiger Anspannung selbst. Eine solche Anspannung geht normalerweise mit vielfältigen körperlichen und geistigen Veränderungen einher: das Herz schlägt schneller, der Atem ist angestrengt und deutlicher hörbar, im Magen kann sich ein flaues Gefühl einstellen, die Hände oder andere Körpergebiete beginnen zu schwitzen, eine Flut von Gedanken durchströmt das Bewusstsein, die Konzentration nimmt ab, offensichtliche Dinge werden übersehen, die Vergesslichkeit nimmt zu. Auch wenn verschiedene Menschen verschieden reagieren, ist physiologisch üblicherweise eine erhöhte Ausschüttung von Adrenalin und Cortisol im Spiel. Es gibt Situationen erhöhter Gefahr und körperlicher Anforderungen, für die ein Teil dieser Reaktionen sehr sinnvoll ist, dass z.B. mehr Blut in Arme und Beine fließt. Die angesprochenen Stressreaktionen des Körpers sind jedoch für viele Menschen zu alltäglichen Begleitern geworden.
Natürlich gibt es auch Menschen, die in herausfordernden Situationen zu Hochform auflaufen und sich dabei wohl fühlen. Das kann so lange gut gehen, wie diese Menschen fähig sind, sich wieder vollständig zu erholen und dabei ihren geistig-körperlichen Zustand auf eine langsamere Gangart umzustellen. Weitaus häufiger wird dauerhafter Stress als Belastung erlebt, die unsere körperliche und geistige Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit einschränkt und unterminiert. Unter Stress sind viele Menschen gereizt, ungeduldig, reden entweder zu viel oder zu wenig, machen viele Fehler, sind weniger kreativ und lassen sich zu Äußerungen oder Handlungen hinreißen, die sie später bereuen.
Oftmals führt sich ständig wiederholender oder dauerhafter Stress zu chronischen Veränderungen und Störungen in Herz und Kreislauf, Atmung, Verdauung und im Immunsystem. Dabei können oft wiederkehrende kleinere Stressreaktionen eine größere Belastung darstellen als eine einmalige kräftige Erregung. Man nimmt heute an, dass sehr viele Krankheiten mit chronisch gewordenen Stressreaktionen des Körpers zusammen hängen. Dazu zählen nicht nur die klassischen Stresskrankheiten wie Bluthochdruck, Erschöpfungszustände, Magengeschwüre, Kopfschmerzen und Migräne, erhöhte Infektanfälligkeit oder Schlafstörungen, sondern auch viele andere Beschwerden. Insbesondere hat Stress einen großen Einfluss auf Verlauf und Heilung praktisch aller Krankheiten.
Die meisten Menschen, die mit Stresssymptomen zu tun haben, wissen, dass es wichtig wäre, etwas zu tun, und haben hierzu auch erste Ideen, doch die praktische Umsetzung erscheint ziemlich schwierig zu sein. "Ich habe keine Zeit für Bewegung oder Entspannung" ist eine Aussage, die wir in dieser oder ähnlicher Form oft hören können. Oft erst dann, wenn die Krankheitssymptome überhand nehmen, entsteht auch die Bereitschaft zum Handeln. Eine rein medizinische Behandlung dieser Krankheiten ist häufig unzureichend, da sie so offensichtlich in unserem Reagieren und unseren Gewohnheiten verwurzelt sind. Nachhaltig aus dem Stress heraus führen können nur bewusste Schritte zu einem anderen Umgang mit uns selbst.
In den vergangenen Jahren haben wir viel darüber lernen können, wie sich Wohlbefinden, körperliche Beanspruchbarkeit und geistige Leistungsfähigkeit verstehen lassen (ein Beispiel sind die Forschungsberichte des HeartMath-Institutes). Diese Eigenschaften lassen sich beschreiben als ein gutes Zusammenspiel der verschiedenen körperlichen, emotionalen und geistigen Funktionskreisläufe im Menschen. Die rhythmischen Vorgänge in Atmung und Kreislauf, in Immunsystem und Verdauung, in der Hirn-Rückenmarksflüssigkeit und in den elektrischen Strömen des Gehirns befinden sich in einem flexiblen und harmonischen Einklang. Der Muskeltonus ist der Situation angemessen, die Körperhaltung gelöst und aufrecht. Der Geist ist wach, flexibel und kreativ. Die emotionale Grundstimmung ist von Vertrauen, Ausgeglichenheit und Zuversicht geprägt. Nächtlicher Schlaf führt zu Erholung des gesamten Menschen und zu Erneuerung der Lebenskräfte.
Ein solches Zusammenspiel von Körper und Geist kann auch als innere Kohärenz bezeichnet werden. Der Begriff Kohärenz meint die gute und harmonische Integration aller Teile eines Ganzen.
Ein einzigartiger Anzeiger einer kohärenten geistigen und körperlichen Verfassung ist der Rhythmus des Herzschlages. Anders als wir vielleicht denken, folgen die Herzschläge keineswegs in gleichen Abständen aufeinander. Vielmehr kann ein ständiger Wechsel von Beschleunigung und Verlangsamung im Rhythmus der Herzschläge beobachtet werden. Wenn dieser Verlauf von Beschleunigung und Verlangsamung in einem Diagramm sichtbar gemacht wird, so kann dieses Bild entweder geprägt sein durch abrupte Wechsel unterschiedlich langer Phasen von Beschleunigung und Verlangsamung, insgesamt also ein gezackter und eher chaotischer Verlauf, oder der Herzrhythmus kann sich darstellen als harmonischer Wechsel von Auf und Ab, von Beschleunigung und Verlangsamung. In der Fachsprache bezeichnet man den Herzrhythmus als Herzfrequenz-Variabilität.
Körperliche und geistige Ausgeglichenheit und Kohärenz sind ein natürlicher Zustand, in den wir z. B. kommen, wenn wir uns freuen, weil uns etwas gelungen ist oder weil wir gelobt wurden. In solchen Fällen wird die innere Ausgeglichenheit von außen ausgelöst. Meistens ist sie daher auch nicht von langer Dauer, sondern verschwindet schnell, wenn all das wieder in den Vordergrund rückt, was uns eher belastet, ärgert oder ängstigt. Können wir nachhaltig geistig-körperliche Ausgeglichenheit und Kohärenz in uns herbeiführen, auch ohne aufbauende Auslöser von außen? Die nachfolgenden Abschnitte versuchen, darauf eine Antwort zu geben.
Viele weitverbreitete Gewohnheiten, um mit Stress umzugehen, helfen nicht, zu einem ausgeglichenen Zustand zurückzukehren. Im Gegenteil verstärken sie die nervliche und körperliche Belastung. Zu solchen sehr beliebten, wenn auch kontraproduktiv wirkenden "Stressmitteln" gehören z.B. übermäßiger oder zwanghafter Konsum von Kaffee, Süßigkeiten, Alkohol, Zigaretten, Beruhigungsmedikamente oder auch Drogen wie beispielsweise Kokain. Unter Stress stürzen sich viele Menschen in Arbeit, versinken in exzessivem Fernsehen oder Computerspiel oder lassen sich zu Essanfällen hinrei&azlig;en. Diese Stimulantien führen zu einer Dauererregung des Nervensystems und verstärken viele der ungünstigen Symptome, die auch durch die Stressreaktionen ausgelöst werden.
Wenn wir tatsächlich lernen möchten, auf herausfordernde Situationen nicht mit unnötigem Stress zu reagieren, dann empfiehlt es sich, Lösungen suchen, die in eine andere Richtung führen: zu der Fähigkeit, auch in herausfordernden Situationen ein gewisses Niveau an Kohärenz beibehalten zu können, oder, wenn uns die Stressreaktion bereits eingeholt hat, uns wieder daraus herauslösen zu können. Eine solche Fähigkeit ist ein wesentliches Element emotionaler Kompetenz. Emotionale Kompetenz umfasst unter anderem die Fähigkeit, mit unseren Gefühlen nicht nur an der Oberfläche in Kontakt zu bleiben und zu wissen, wie wir auch mit belastenden Gefühlen konstruktiv umgehen können.